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Wie KMU sich vorbereiten
Wir sind von der Gaskrise direkt in die Stromkrise geraten.
Die Energiekrise stellt die deutsche Wirtschaft vor große Herausforderungen – besonders kleine und mittlere Unternehmen sehen sich unsicheren Zeiten gegenüber. Wie können Betriebe kurzfristige Lösungen finden? Welche Möglichkeiten gibt es, sich langfristig widerstandsfähig aufzustellen? Und welche Hilfsangebote stehen zur Verfügung? Arne Potthoff, Referatsleiter Industrie und Volkswirtschaft bei der IHK Ostwestfalen zu Bielefeld, gibt Antworten.
Welche Auswirkungen hat die Energiekrise auf die mittelständische Wirtschaft?
Im Einzelfall ist das sehr unterschiedlich zu bewerten. Es gibt direkt betroffene Betriebe, gerade in energieintensiven Branchen. Hinzu kommen neben den durch die gestiegenen Energiekosten direkt Betroffenen viele Betriebe, die mit einer sinkenden Nachfrage zu kämpfen haben. Ich denke zum Beispiel an Handel und Gastronomie. Im Industriebereich ist die Auftragslage oftmals noch gut. Mit Blick auf das kommende Jahr gehen wir aber von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung aus.
Was können KMU tun, um sich gegen die steigenden Energiepreise zu wappnen?
Die meistgenannte Maßnahme ist die Weitergabe der gestiegenen Kosten an die Kunden – gerade im industriellen Bereich. Ansonsten: Energie sparen, wo es nur geht. Das kann durch organisatorische Maßnahmen umgesetzt werden, etwa durch das Absenken von Temperaturen in Büroräumen oder vermehrtes Home Office. Muss zum Beispiel mein gesamter Parkplatz noch beleuchtet werden, wenn viele Mitarbeiter sich ohnehin im Home Office befinden?
Viele Firmen nehmen aber auch gerade jetzt Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen vor. Beispiele können hier eine intelligente Lichtsteuerung oder sparsamere Maschinen sein. Durch die stark gestiegenen Preise lohnen sich jetzt auch Maßnahmen, an die man vorher nicht gedacht hat – das Preisniveau wird auch langfristig deutlich teurer bleiben, als wir es vor der Krise gekannt haben. Aktuell gibt es Beispiele von erstaunlichen Energieeinsparungen in der Gebäudeleittechnik durch den Einsatz von KI. Damit konnten die Verbräuche um bis zu 20-30% reduziert werden.
Ein weiteres großes Thema ist die Eigenerzeugung, insbesondere durch Photovoltaik. Mit jeder selbst erzeugten kWh mache ich mich von externen Preissteigerungen ein Stück weit unabhängiger. Das größte aktuelle Problem ist hier, dass die Nachfrage so kurzfristig kaum gestillt werden kann. Dafür fehlen uns einerseits die Fachkräfte, andererseits die notwendigen Teile. Die Module sind am Markt schon teurer geworden, rechnen sich in Anbetracht der gestiegenen Energiepreise im Zweifelsfall aber immer noch.
Ein weiteres Thema ist der Brennstoffwechsel. Um die eigene Produktion und Versorgung zu sichern wird ein Brennstoffwechsel von Gas auf Öl vollzogen. Das ist besonders interessant für Firmen, die noch entsprechende Tanks und Brenner haben, die sowohl mit Gas, als auch mit Öl funktionieren.
Es gibt verschiedene Programme, über die Unternehmen schon jetzt finanzielle Hilfen beantragen können. Womit sollten Unternehmen sich da beschäftigen?
Aktuell gibt es das Energiekostendämpfungsprogramm, ein KfW-Kredit-Sonderprogramm und ein Bürgschaftsprogramm des Landes. Alle drei Programme laufen erstmal zum Ende des Jahres aus.
Insgesamt ist das Energiekostendämpfungsprogramm aus unserer Sicht für die Breite der Unternehmen kein Renner. Es steht auch nicht allen Branchen offen und man muss eine gewisse Energieintensität nachweisen. Neben einer komplizierten Antragstellung ist es auch für viele Firmen finanziell nicht besonders attraktiv. Bezuschusst werden die Energiekosten des noch laufenden Jahres – alles bis zum doppelten Preis müssen Betriebe hier aber weiterhin selbst tragen.
Die tatsächliche Preisrallye beginnt für viele Unternehmen aber ohnehin erst im nächsten Jahr, weil dann viele gekündigte Verträge auslaufen. Daher ist die große Frage, welche Entlastungen noch kommen. Hier ist aktuell sehr viel im Fluss. Es gibt aber erste Eckpunkte zu einer Gas- und einer Strompreisbremse.
Es ist auch mit weiteren Härtefallprogrammen zu rechnen. Die Gaskommission hat in ihrem Abschlussbericht etwa Liquiditätshilfen, Bürgschaften und Zuschussprogramme empfohlen. Gas- und Strompreisbremsen, so wie sie zurzeit in Arbeit sind, werden aber vielen Unternehmen ein großes Stück Sicherheit bringen. Je nach dem werden Unternehmen durch Abschlagszahlungen im Dezember und gedeckelte Grundkontingente ihres Verbrauchs entlastet. Das ist aus unserer Sicht ein wichtiges und richtiges Signal für sehr viele Betriebe, da so wieder deutlich verlässlichere Planungen für kommende Jahr gemacht werden können.
Was ist denn in Ihren Augen gerade dringender, Gas oder Strom?
In der Breite eher Strom. Es gibt natürlich einige sehr gasintensive Unternehmen, auch in der Region. Das ist aber nicht die breite Masse – die meisten nutzen Gas eher „nur“ zum Heizen. Die Börsenpreise für Strom sind aber zwischenzeitlich noch stärker explodiert als die Gaspreise. Daher sind wir aus einer Gaskrise direkt in eine Stromkrise geraten. Beim Gas stellt sich die Frage der Verfügbarkeit, die die Diskussion sehr bestimmt hat. Mit den aktuellen Speicherständen hat sich die Lage hier beruhigt, ohne komplette Entwarnung geben zu können. Eine Gasmangellage ist heute aber unwahrscheinlicher als noch vor sechs oder acht Wochen.
Von der Kostenseite ist das Stromthema also für viele Unternehmen tatsächlich das dominantere Thema. Neben der Kostendiskussion gibt es aber noch andere dringende Probleme, zum Beispiel das Thema Ersatzversorgung. Unternehmen auf Mittelspannungs- oder Mitteldruckebene, denen der Vertrag gekündigt wurde, haben es oft schwer, einen neuen Versorgungsvertrag zu bekommen. Diese Betriebe haben keinen Anspruch auf eine Ersatzversorgung und können damit ins Nichts fallen.
Es gibt viele Richtungen, in die Unternehmen gehen können, um sich gegen die Energiekrise zu wappnen. Wer hilft mir als Unternehmen, da den richtigen Weg zu finden?
Die IHKs, die Handwerkskammer oder auch die Wirtschaftsförderungsgesellschaften stehen ihren Betrieben mit Rat zur Seite. In der technischen Umsetzung gibt es auch Beratungsknowhow am Markt. Solche Energieberatungen, um sich selber mit externer Unterstützung einen Überblick zu verschaffen, sind auch förderbar. Denn Daten sind fundamental, um einzugreifen: Wo stehe ich überhaupt? Wo verbrauche ich wann wie viel Energie?
Für ein effizientes Energiemanagement müssen umfangreiche Daten erfasst werden – ich kann nur Energie sparen, wenn ich weiß, wo die Energie hinfließt. Hier unterstützt auch das Mittelstand-Digital Zentrum Ruhr-OWL z.B. mit Knowhow in den Bereichen Daten und KI.
Beim Thema Brennstoffwechsel sind die Kreisbehörden und die Bezirksregierung unserer Erfahrung nach hilfsbereit. Sie unterstützen die Unternehmen bei Genehmigungen und Informationen, unter welchen Bedingungen ein Brennstoffwechsel möglich ist.
Das Thema Gasumlage ist schon fast wieder aus dem Sinn, da kam mit dem "Doppelwumms" unter anderem auch schon die Gaspreisbremse ins Gespräch. Was bedeutet diese Bremse für mittelständische Unternehmen?
Ein Stück weit Sicherheit. Wenn die Vorschläge der Gaskommission so umgesetzt werden, bekommen Unternehmen je nach Größe 70-80% ihres Gaskontingents zu einem gedeckelten Preis. Das gibt Planungssicherheit bis ins erste Quartal 2024 und ermöglicht halbwegs verlässliche Kalkulationen. Diese gedeckelten Preise liegen zwar immer noch deutlich über dem was wir vor dem Ukrainekrieg gehabt haben, es ist aber eben nicht die befürchtete Verfünf- oder Verzehnfachung.
Darüber hinaus hat die Gaspreisbremse auch gegenüber einem neuen Förderprogramm entscheidende Vorteile: Sie steht grundsätzlich jedem Betrieb offen und wird über die Versorger abgewickelt. Ich muss also keinen bürokratischen Förderantrag stellen und warte dann auf eine Bewilligung. Insofern ist das ein schlankes Verfahren, was den Zugang deutlich vereinfacht. Aber wir müssen abwarten, wie die Politik die Preisbremsen im Detail umsetzen wird.
Wann wissen wir denn Bescheid, wie die Gaspreisbremse genau ausgestaltet wird?
Ein Bestandteil der Entlastungen ist ja die Abschlagszahlung, die schon im Dezember übernommen werden soll. Damit das zeitlich noch funktioniert, muss der Gesetzgeber schnell tätig werden. Daher bin ich optimistisch, dass wir Mitte November wissen, wo die Reise hingeht. Die Regelung zu den Abschlagszahlungen wird auch als erste im Bundestag behandelt.
Laut Vorschlag der Gaskommission soll die Gaspreisbremse für große Unternehmen bereits ab Januar kommen, für KMU aber erst ab März. Ist das nicht gerade für KMU zu spät?
Die kleineren Unternehmen bekommen dafür im Dezember die Abschlagszahlung bezahlt, das bekommen größere Unternehmen nicht. Diese Staffelung hat nach unserer Kenntnis eher technische Gründe als einen fehlenden politischen Willen oder nicht verfügbares Geld. Die Abwicklung auf Seiten der Versorger ist nicht trivial und muss ja auch technisch funktionieren. Wir reden ja über Millionen von Energieverbrauchern.
Diskutiert wird zudem, ob die Gaspreisbremse auch ab Februar rückwirkend greifen kann. Die Strompreisbremse soll für alle Betroffenen dann schon im Januar greifen.
Es muss aber auch klar sein, dass die Politik die Mehrkosten nicht dauerhaft übernehmen kann. Die Energiepreise sind teuer und werden aus unserer Sicht auch teuer bleiben. Daher ist jetzt die richtige Zeit, um sich als Unternehmen mit den eigenen Verbräuchen auseinanderzusetzen und systematisch in die eigene Energieeffizienz zu investieren.
Wir IHKs in OWL unterstützen dies auch mit einer eigenen Klimainitiative „gemeinsam klimaneutral 2030“. Hierüber möchten wir Unternehmen motivieren, bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu werden. Wir haben in recht kurzer Zeit bereits fast 60 Unternehmen in OWL dafür gewonnen. Weitere Mitstreiter sind herzlich willkommen.
Was könnte politisch noch getan werden, um die Auswirkungen der Energiekrise auf die Wirtschaft abzufedern?
Die hohen Energiepreise zeigen für mich nicht, dass der Markt nicht funktioniert. Die Preise sind vor allem ein Signal für eine Knappheit. Was wir brauchen ist also eine Vergrößerung des Angebots. Dafür müssen für die Dauer der Energiekrise alle Kraftwerkskapazitäten ausgeschöpft werden, die wir haben – sei es Kernkraft, sei es Kohle. Wir sehen aktuell, dass die Terminmarktpreise fürs nächste Jahr immer noch hoch sind. Der Markt plant also für das ganze Jahr 2023 noch eine erhebliche Unsicherheit ein.
Darüber hinaus müssen heimische Energiequellen schneller erschlossen werden. Der Ausbau der Erneuerbaren wird uns kurzfristig nicht retten können, aber perspektivisch muss das schneller gehen. Wichtig ist dabei auch der notwendige Ausbau der Netzinfrastruktur.
Auch das Thema Ersatzversorgung ist wichtig. Es gibt Unternehmen, die keinen Anspruch auf eine Ersatzversorgung haben. Wenn einem Mittelspannungskunden zum Beispiel der Versorger kündigt und er keinen neuen Versorger findet, wird dem einfach der Strom abgeschaltet. Das ist der Worst Case. Hier einen gesetzlichen Anspruch auf eine Ersatzversorgung zu schaffen ist überaus wichtig. Bei kleinen Unternehmen gibt es das schon, aber bei größeren eben nicht. Da muss der Gesetzgeber eine Lösung schaffen.