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Resilienz als Erfolgsfaktor für KMU in Krisen

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Ein Interview mit Philipp Herrmann, Sarah Kilz

Externe Schocks, wie die Coronapandemie oder die durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ausgelöste Energiekrise, stellen eine Herausforderung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) dar. Dabei wird deutlich, dass Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell resilient aufstellen, besser in der Lage sind, solche und zukünftige Krisen zu bewältigen.

Philipp Herrmann, Projektmanager Kooperative Geschäftsmodelle im Mittelstand-Digital Zentrum WertNetzWerke und Experte im Bereich Geschäftsmodell-Resilienz, erläutert in diesem Interview, warum der Begriff „Resilienz“ mehr als nur ein Buzzword für mittelständische Unternehmen sein kann und, weshalb es für KMU wichtig ist, Resilienz bei der Unternehmenssteuerung zu berücksichtigen.

Sarah Kilz: Im Zuge der aktuellen globalen Krisen, wie der Coronapandemie, der Energiekrise oder Lieferengpässen wird immer wieder auch die Widerstandsfähigkeit von mittelständischen Unternehmen diskutiert. Dabei fällt häufig der Begriff „Resilienz“. Was verbirgt sich dahinter?

Philipp Herrmann: Den Begriff Resilienz gibt es schon länger und hat seine Ursprünge in der Psychologie. Im Zuge der Coronapandemie wurde das Konzept zunehmend auf einen ökonomischen Kontext und damit auch auf Unternehmen übertragen. In diesem Zusammenhang versteht man unter Resilienz grundsätzlich die Fähigkeit eines Unternehmens, das Wertversprechen trotz unerwarteter, aktueller und zukünftiger Störungen wie Pandemien oder Lieferkettenproblemen aufrechtzuerhalten.

Um das ein wenig plastischer zu machen, ein Beispiel: Im Zuge der Coronapandemie hatte unter anderem die Automobilindustrie mit massiven Lieferengpässen, zum Beispiel in der Mikroelektronik, zu kämpfen. Das hat am Ende dazu geführt, dass Originalgerätehersteller (OEMs) ihre Produktion herunterfuhren oder gar ganze Werke zeitweise schließen mussten – mit entsprechenden Folgeeffekten auf die gesamte Zuliefererkette. Resiliente Zulieferer konnten damit aber umgehen. So konnte beispielsweise ein sächsischer Hersteller von stabilen und nachhaltigen Wabenplatten aus Papier den Kernnutzen des Produktes auch auf andere Industrien übertragen wie beispielsweise den Messebau. Dadurch konnten massive Umsatzeinbußen verhindert werden. Darüber hinaus ist das Unternehmen durch diese Geschäftsmodellanpassung auch langfristig unabhängiger von der Automobilindustrie.

Neben der Geschäftsmodell-Resilienz kann Resilienz aber auch als neuer Ansatz der Unternehmensführung verstanden werden. Die Krisen der letzten Jahre haben uns vor Augen geführt, dass eine auf maximale Kosteneffizienz getrimmte Unternehmensführung sehr anfällig für externe Schocks ist. Die ökonomischen Rahmenbedingungen haben sich stark verändert und es bedarf einer neuen Art der Unternehmensführung, um nachhaltig Wettbewerbsvorteile durch Innovation generieren zu können.

Sarah Kilz: Im Hinblick auf die bisherigen Erläuterungen zum Resilienzbegriff kommt einem sofort auch das Thema „Krisenmanagement“ in den Sinn. Gehört dieses ebenfalls zum Kontext Resilienz oder ist es davon abzugrenzen?

Philipp Herrmann: Das ist eine wichtige Frage, die ich auch häufiger höre. Auf der einen Seite gehören Resilienz und Krisenmanagement zusammengedacht. Auf der anderen Seite geht Resilienz aber auch deutlich über das Thema Krisenmanagement hinaus. Und das hat zwei Gründe: Der erste Grund ist, dass Krisenmanagement nur ein Teilbereich von Resilienz ist. Wir haben in unserer Forschung insgesamt fünf Stellhebel der Resilienz im sozioökonomischen Kontext identifiziert. Dazu gehören Wertversprechen, Unternehmenskultur, Digitalisierung, Lieferkette und Krisenmanagement. Es wird also deutlich, dass Krisenmanagement nur einer von fünf Stellhebeln ist. Der zweite Grund ist, dass selbst wenn man sich Krisenmanagement im Kontext von Resilienz anschaut, dies weitergedacht ist als das, was wir traditionell unter Krisenmanagement verstehen. Denn ein noch so gutes Krisenmanagement hilft nur bedingt bei unerwarteten Störungen, da es sich per definitionem nur mit vorhersehbaren Risiken auseinandersetzt. Krisenmanagement im Kontext von Resilienz bedeutet aber auch, Mitarbeitende mit Ressourcen und Kompetenzen auszustatten, die es ihnen ermöglichen, auch mit unerwarteten Krisen umzugehen.

Sarah Kilz: Zurück zur Resilienz: Warum ist es gerade auch für kleine und mittlere Unternehmen wichtig, Resilienz bei der Unternehmenssteuerung zu berücksichtigen?

Philipp Herrmann: Ich würde tatsächlich nicht sagen, dass es besonders wichtig für kleine und mittlere Unternehmen ist, Resilienz bei der Unternehmenssteuerung zu berücksichtigen. Vielmehr bin ich der Meinung, dass es wichtig für alle Unternehmen, ganz gleich welcher Größe, ist. Denn wir haben gesehen, dass auch Großunternehmen aufgrund der Auswirkungen der Coronapandemie Insolvenz angemeldet haben. Dennoch würde ich sagen, dass sich das Thema Resilienz bei mittelständischen Unternehmen noch einmal als eine spezifischere, differenziertere Art darstellt als bei Großunternehmen. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. Einen großen Vorteil von KMU sehe ich in den beiden Stellhebeln Wertversprechen und Unternehmenskultur. Im Bereich Wertversprechen sind Mittelständler häufig „Hidden Champions“ im eigenen Produkt. Sie sind dann spezialisiert auf diese eine innovative Lösung und haben ein so stabiles Geschäftsmodell, das ihnen dann auch eher die Flexibilität gibt, in einer Krise ihre Kernkompetenz auf andere Branchen zu übertragen. Im Bereich Unternehmenskultur liegt die Stärke schlichtweg an der Unternehmensgröße. Mittelständische Unternehmen haben oft eine spezifische Unternehmenshistorie, aus der eine ganz eigene Kultur und Tradition gewachsen ist. Diese können sie häufig besser mit ihrer Unternehmensstrategie verbinden. Und das ist ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor für das Thema Unternehmenskultur im Kontext Resilienz. Eine Herausforderung für KMU ist, was wir als „Holzfäller-Phänomen“ bezeichnen. Gemeint ist der Forstwirt, der so beschäftigt mit dem Fällen von Bäumen ist, dass er gar keine Zeit mehr hat, seine Axt zu schleifen. Auf den Mittelstand übertragen heißt das, dass kleine und mittlere Unternehmen meist einfach weniger Ressourcen und Kapazitäten haben, um sich zusätzlich zum Tagesgeschäft noch um ein Thema wie Resilienz zu kümmern. Großunternehmen haben dagegen häufiger die Möglichkeit, sich mit Themen wie diesen auseinanderzusetzen, da sie über mehr finanzielle oder personelle Ressourcen verfügen.

Sarah Kilz: Das klingt einleuchtend. Gibt es denn schon Beispiele aus der Praxis, die zeigen, wie mittelständische Unternehmen die Digitalisierung nutzen, um ihr Geschäftsmodell resilient aufzustellen?

Philipp Herrmann: Digitalisierung ist ein entscheidender Stellhebel für Resilienz, da er unterstützend mit den anderen Stellhebeln zusammenwirkt. So verstanden bezeichnet Digitalisierung die gezielte Nutzung von Technologien, die es ermöglichen, das volle Potenzial der Resilienz in den anderen Stellhebeln zu realisieren. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: In unserer Forschungsarbeit am Fraunhofer IMW haben wir zum Beispiel mit einem Unternehmen aus Sachsen zusammengearbeitet, das ein Experte für Dünnschichttechnologien, wie sie beispielsweise bei Touchscreens angewendet werden, ist. Mit dieser Technologie lassen sich Berührungen registrieren. Im gemeinsamen Projekt war die Digitalisierung der Schwerpunkt zur Stärkung der Unternehmensresilienz. Aber nicht, weil dort eine Schwachstelle war. Die Herausforderung für das Unternehmen lag eher im Bereich des Fachkräftemangels. Insbesondere während der Coronapandemie war es für das Unternehmen schwer, qualifiziertes Personal zu gewinnen. Je länger wir gemeinsam die verschiedenen Stellhebel beleuchtet haben, desto deutlicher wurde, dass digitale Lösungen im Bereich Wissensmanagement und Wissenstransfer einen Beitrag leisten können, die Resilienz des Unternehmens zu stärken. Die Digitalisierung wird dabei genutzt, um das implizite und explizite Wissen, das ohnehin schon im Unternehmen ist, besser verfügbar und zugänglich zu machen. Wir haben dann gemeinsam Anforderungen für eine solche Lösung definiert und sind erste Schritte in Richtung Anbieterauswahl gegangen. Das ist meiner Meinung nach ein gutes Beispiel, das zeigt, wie verflochten das Thema Digitalisierung mit anderen Stellhebeln ist – in diesem Fall mit der Unternehmenskultur. Digitalisierung spielt also häufig auch in andere Themen rein. Die Digitalisierung zu stärken, hilft demnach dabei, als Unternehmen insgesamt resilienter zu werden.

Sarah Kilz: Sie haben die unterschiedlichen Stellhebel, mit denen KMU ein resilientes Geschäftsmodell aufbauen kann, bereits angesprochen und im Falle von Digitalisierung und Krisenmanagement auch ausführlich erläutert. Können Sie auch noch einmal näher auf die anderen Stellhebel eingehen?

Philipp Herrmann: Neben den beiden Stellhebeln Digitalisierung und Krisenmanagement gibt es drei weitere Stellhebel, die Unternehmen zur Stärkung ihrer Resilienz berücksichtigen sollten: Wertversprechen, Unternehmenskultur und Lieferkette. Unter Wertversprechen verstehen wir hier den Nutzen, den das Unternehmen Kunden und Partnern verspricht – also das traditionelle Geschäftsmodell. Im Resilienzkontext kommt es hier besonders darauf an, eine Balance zwischen Flexibilität und Stabilität sicherzustellen. Die Unternehmenskultur, als weiterer Stellhebel, ist verantwortlich für die Umsetzung des Nutzenversprechens in die Realität. Eine Unternehmenskultur ist dann resilient, wenn die durch Mitarbeitende und Führungskräfte gelebte DNA in Einklang mit der Unternehmensvision und -strategie steht. Der Stellhebel Lieferkette umfasst das Netzwerk an Organisationen, die an der Wertschöpfungskette beteiligt sind. Hier geht es darum, ein Gleichgewicht aus Kosteneffizienz auf der einen Seite und gezielten Redundanzen auf der anderen Seite herzustellen, um eine Kontinuität im Betriebsablauf zu garantieren.

Sarah Kilz: Eine letzte Frage: Welche Empfehlung haben Sie an mittelständische Unternehmen, die sich dem Thema Resilienz nähern wollen? Wie sollten die Unternehmen vorgehen?

Philipp Herrmann: Wesentlich ist dabei die Frage, wie mit dem oben erwähnten „Holzfäller-Phänomen“ umgegangen werden soll – also wie KMU möglichst zeit- und ressourceneffizient Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz identifizieren und umsetzen können. Da hätte ich im Grunde genommen zwei Empfehlungen: Die erste Empfehlung ist, sich ein Netzwerk zum Thema Resilienz aufzubauen, zum Beispiel, indem man entsprechende Veranstaltungen besucht. Im Austausch mit anderen Unternehmen können häufig Quick Wins identifiziert und für das eigene Unternehmen adaptiert werden. Das Zweite, was ich empfehlen kann, ist ein frei zugängliches OnlineTool, das sich gezielt an kleine und mittlere Unternehmen richtet. Dieses „Resilienz-Cockpit“ ermöglicht eine fragebogenbasierte Standortbestimmung der Resilienz des eigenen Unternehmens. Darüber hinaus enthält das Tool viele Hintergrundinformationen sowie erste Handlungsempfehlungen. Die sind noch auf hoher Flughöhe und noch nicht individuell auf das Unternehmen zugeschnitten. Aber es hilft auf jeden Fall, um einen ersten Überblick und Verständnis für das Thema zu bekommen.

 

Mehr zum Thema erfahren sie hier: Remote Work, Mittelstand-Digital Magazin Wissenschaft trifft Praxis, Ausgabe 19

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Karina Kampert - Mitarbeiterin Mittelstand Digital Ruhr OWL - Koordination Geschäftsstelle

Karina Kampert

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